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AJS-News / Jugendschutzrecht/ 14.01.2015

Unter dem Mäntelchen des Jugendschutzes

Die AJS hat mit Manfred Stoffers, Referent für Grundsatzfragen beim Vorstandsvorsitzenden der Gauselmann AG, Paul Gauselmann (Automatenwirtschaft), ein „Sommerinterview“ für das AJS-FORUM zum Thema Jugendschutz und Glücksspiel geführt. Das gesamte Interview ist online nachzulesen.

Stoffers war in den achtziger Jahren Geschäftsführer der Kath. LAG Kinder- und Jugendschutz NW  e.V.  in Münster. Aus dieser Zeit stammt auch sein Kommentar zum Jugendschutzgesetz. Das Gespräch wurde in gekürzter Form im AJS FORUM 3/2013 abgedruckt. Hier nun der vollständige Text des Interviews:

 

AJS: Die Diskussion um eine Verschärfung der Spielverordnung wird unter anderem auch mit dem Argument „Jugendschutz“ geführt. Warum wird Jugendschutz so in den Vordergrund gestellt.

Stoffers: Das fragen Sie mich? Sie sind doch der Jugendschutz-Profi. Die Frage könnten Sie sich doch eigentlich viel besser selbst  beantworten.

AJS: Nein, eben nicht. Denn auffallend ist, dass von der kommunalen Jugendschutzpraxis kaum Hinweise auf  Verstöße gegen die Jugendschutzbestimmungen im Zusammenhang mit Spielhallen und Geldspielgeräten bekannt sind.

Stoffers:  Das ist der Erfolg eindeutiger Jugendschutzbestimmungen. Unter 18 sind Geldspielgeräte Tabu. Eindeutiger geht es nicht. Manchen scheint dies trotzdem noch nicht zu reichen. Sie haben sozusagen zur Jagd auf die Automaten geblasen –  und zwar mit dem fadenscheinigen Argument, Gastwirte und Spielhallenbetreiber würden sich nicht an das Jugendschutzgesetz halten.

AJS: Könnte das nicht tatsächlich der Fall sein, weil die Einhaltung der Jugendschutzbestimmungen zu wenig kontrolliert wird?

Stoffers: Sicher gibt es Jugendschutzverstöße. Kinder und Jugendliche sind heute zwar  überwiegend so, wie meine Mutter gewünscht hätte, dass ich sein sollte. Sie rauchen kaum, sie trinken weniger Alkohol als meine Generation in ihrem Alter und illegale Drogen scheinen auch an Bedeutung verloren zu haben. Aber gegen den Reiz des Verbotenen generell sind sie nicht immun. Als ich dreizehn Jahre alt war, habe ich jeden Samstag unter Einsatz von der drei Mark fünfzig  und meinem noch leicht verquietschten Bariton versucht, in Kinofilme zu kommen, die erst ab sechzehn freigegeben waren, ob sie mich interessierten oder nicht. Was für mich damals das Kino war, ist  für die Kids von heute die Spielhalle. Reinkommen trotz Verbot ist geil. Und ein Held ist man, wenn man wieder rausgeschmissen wird. Das ist ein Kick, der uns damals beim Kino nicht geboten wurde. Waren wir erst einmal drin, hat uns im dunklen Kinosaal niemand mehr entdeckt. Da saß man dann allein mit seiner von besorgten Pädagogen vermuteten sittlichen Verwirrung, die später in sozialethische Desorientierung umbenannt wurde.

AJS: Das, was Sie beschreiben, ist der folgenlose Tabu-Bruch, den Jugendliche lieben. Aber  wie hoch schätzen Sie die Zahl der Jugendlichen ein, die trotz aller Verbote an Automaten spielen?

Stoffers:  Sie  glauben mir vielleicht, weil Sie mich seit dreißig Jahren als oft unbequem, aber meist ehrlich kennen. Aber die meisten Ihrer Leser kennen mich nicht und werden mir als Berater  des führenden Unternehmens in der Automatenwirtschaft vieles glauben, aber wahrscheinlich nicht, dass ich hier die Wahrheit sage. Deswegen nenne ich Ihnen Zahlen aus einer Untersuchung, die von der BzgA in Auftrag gegeben wurde – ein Absender, der zumindest nicht im Verdacht steht, ein Freund der Automatenwirtschaft zu sein. Nach dieser Untersuchung haben nur4,5% der 16- und 17-jährigen innerhalb der letzten zwölf Monate zumindest einmal an Geldspielgeräten gespielt. Übrigens haben 15,6% dieser Altersgruppe im selben Zeitraum an Sofortlotterien teilgenommen, wovon die Hälfte die Rubbellose verbotenerweise in Lottoannahmestellen bekommen hat. Also gibt der Jugendschutz keinen Anlass, den erwachsenen Gästen ihr Spiel und den Gastwirten ihre Zusatzeinnahmen durch den Betrieb von Geldspielgeräten zu nehmen sowie den Betreibern von Spielhallen vorzuwerfen, sie würden sich nicht an das Jugendschutzgesetz halten.

AJS: Süchtige Spieler berichten oft,  sie hätten schon als Jugendliche trotz aller Verbote erste Erfahrungen mit dem Automatenspiel gemacht. Ist das nicht Grund genug für weitere Verschärfungen der Regelungen für das Automatenspiel?

Stoffers: Diese  Forderung hat dieselbe Logik wie die Behauptung, man müsse Kinder von Wasser fern halten, weil die meisten Menschen, die als Erwachsene unter Waschzwang leiden, schon in frühester Kindheit in Kontakt mit Wasser gekommen seien. Bevor Sie mich jetzt als Zyniker beschimpfen, lassen Sie uns noch einen Gedanken  auf die Suchtgenese bei Verhaltenssüchten werfen. Eine Tätigkeit macht nicht süchtig. Auch wenn manche es sich noch so sehr wünschen, Sex macht nicht süchtig. Es gibt trotzdem Menschen, die praktizieren ihn in krankhaft zwanghafter Weise. Was ich damit sagen will,  ist  eine Banalität, die im präventiven Eifer immer wieder vergessen wird: Krankhaftes Spielen ist ein Indikator für ein Basisproblem, das bei dem Betroffenen zum zwanghaften und damit exzessiven Spiel führt. Die eigentliche Ursache wird oft durch das exzessive Spielen mit seinen auffällig belastenden Begleiterscheinungen überlagert. Diesen Zusammenhang hatte Dr. Scholz, lange verstorbener Kommentator des Jugendschutzgesetzes im Sinn, als er den Warnhinweis entwickelte, der heute noch auf jedem Automaten in der Nähe des Geldeinwurfs zu lesen ist: „Übermäßiges Spielen ist keine Lösung bei persönlichen Problemen“.

AJS: Zurück zu unserer Ausgangsfrage: Warum wird der Jugendschutz bei der Forderung nach schärferen Regeln für das Automatenspiel trotzdem  so in den Vordergrund  gestellt?

Stoffers:  Ich muss um Verständnis bitten, wenn ich jetzt etwas wiederhole, das ich in den letzten Jahrzehnten schon mehrfach zum Ärger vieler  gutmeinender Zeitgenossen  gesagt und geschrieben habe, wovon ich aber nach wie vor zutiefst überzeugt bin. Wie schon bei der Diskussion  um die sogenannten neuen Medien in den achtziger Jahren, die uns heute hier und da wie eine Realsatire anmutet, wird in der aktuellen Diskussion um das Automatenspiel der Jugendschutz missbraucht. Damals wie heute geht es nicht um den Schutz von Kindern und Jugendlichen. Es geht um Moral. Oder konkreter: es geht um das, was eine selbsternannte moralische Elite  uns als zwingende Norm verordnen will.

AJS: Das ist  heftiger Vorwurf, den Sie so pauschal nicht stehen lassen können.  Worin sehen Sie den Missbrauch des Jugendschutzes ganz konkret.

Stoffers:  Der Begriff Missbrauch ist mit dem Vorwurf  absichtsvollen Fehlverhaltens verbunden.  Lassen wir den Vorwurf mal weg. Vielleicht handelt es sich ja nicht um Absicht, sondern um den Ausdruck von absichtsloser Dummheit.  Jugendschutz hat ein  Ziel. Und das ist die Schaffung von Lebensbedingen, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, bei einem Höchstmaß körperlichen und seelischen Wohlbefindens mündig zu werden, d.h. ihr Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu verwirklichen. Sie merken wahrscheinlich, dass hier das Menschenbild der Aufklärung hervorlugt. Wer wie ich, nicht möchte, dass andere ihm  als Mündigem vorschreiben, was er isst, was er spielt, ob und was er raucht, war er trinkt, der wird dafür Sorge tragen, dass Kinder und Jugendliche die Chance bekommen, ihre selbstverantwortliche Entscheidungsfähigkeit zu entwickeln. Deswegen schreiben wir  Erwachsenen im Jugendschutzgesetz und anderen Gesetzen  vor, wovor sie Kinder und Jugendliche schützen müssen, um den Prozess des Mündigwerdens nicht zu beeinträchtigen. Das ist der Jugendschutz, der sich der Aufklärung verpflichtet fühlt. Daneben gibt es den Jugendschutz, dem es nicht  um die Freiheit, sondern darum geht, moralische Überzeugungen durchzusetzen.  Konkret zum Glücksspiel.  Wer es nicht dabei belässt, Kinder und Jugendliche von Glücksspielen fernzuhalten, sondern Glücksspiele generell  zurückdrängen oder gar verbieten will, setzt sich dem Verdacht aus, den Jugendschutz zu missbrauchen, um sein eigentliches Ziel, nämlich seine „Moral“ in der Gesellschaft durchzusetzen. Das ist verlogen. Und dagegen richtet sich mein Protest.  Jeder hat das Recht, Geldspielgeräte nicht zu mögen, das Spielen daran für kulturell minderwertig und moralisch verwerflich zu halten.  Dann lassen Sie uns  bitte eine gesellschaftspolitische Debatte darüber führen. Aber verstecken wir uns nicht hinter dem vorgeschobenen und damit verlogenen  Argument, man müsse Kinder und Jugendliche vor Geldspielgeräten schützen. Sie sind es nämlich schon – und zwar effektiv.

AJS: Ist nicht beim Thema Spielsucht das gleiche Phänomen zu erkennen, dass die Diskussion darüber für etwas anderes herhalten muss.  Gibt es ein gesellschaftliches Unbehagen in Bezug auf das Glücksspiel ?

Stoffers: Unbehagen  ist sehr vorsichtig ausgedrückt.  Vielleicht ist es in Teilen der Bevölkerung sogar mehr, nämlich Besorgtheit oder sogar Angst. Lotto hat sich von der rituellen Entrichtung der in Bayern liebevoll als Deppensteuer bezeichneten  freitäglichen Einzahlung der Spieleinätze zur  hin und wieder als paranoid anmutenden Jackpot-Jagd gewandelt. Boris B. hat eine ganze Nation ermutigt, sich beim Pokern zu versuchen. Was der kann, kann ich auch. Oliver Kahn steht neuerdings nicht nur für die Qualität von Bratwürstchen, sondern auch für die Zuverlässigkeit von Sportwetten. Und das Geldspielgerät als Groschengrab mit den rotierenden Scheiben hat sich  zum Multigamer entwickelt, an dem man mit kleinem Geld um große Spannung spielt. Noch nie zuvor haben so viele Deutsche mit Geld und Zufall gespielt. Nach einer EMNID-Untersuchung aus dem Jahre 2011 nehmen 63,5% der Erwachsenen an Glücksspielen teil. Das ist  für viele unerwartet, ungewohnt, sogar unerhört. Glücksspiel als Massenphänomen ist genauso fremd wie es die Rockmusik in den Ohren meiner  Eltern in den Sechzigern war, die vorher nur  von deutschem Liedgut eingelullt worden waren.  Die bildungsbürgerliche Elite hielt sich damals mit blankem Entsetzen im Gesicht die Ohren zu und sah sich mitten im Untergang der abendländischen Kultur. Wer hätte damals gedacht, dass ein Stück Punkrock fast schon  zur Nationalhymne avanciert – zumindest in der Fußballwelt.  Ich sage nur „Tage wie diese…“ . Wir haben uns verändert und mit uns unsere Kultur.  Das, was uns fremd und gefährlich erschien,  haben wir  unseren Bedürfnissen entsprechend angepasst und in unsere Alltagskultur integriert. Genauso wird es uns mit dem Glücksspiel ergehen. Wir werden es aus kritischer Distanz beäugen. Wir werden Auswüchse bekämpfen. Wir werden es hier uns da feilen und  glatt schleifen und irgendwann wird es zur Alltagspraxis gehören, die uns bei kritischer Nachfrage allenfalls ein indifferentes „Ja und“ abringt. Das ist der ganz normale Prozess der Integration von Fremdem und Fremdartigem.

AJS: Mit der starken Ausbreitung des Glücksspiels in Deutschland  ist auch die Zahl der Spielsüchtigen gestiegen.  Suchtexperten schließen dies aus dem starken Anwachsen  der Beratungsnachfrage.

Stoffers:  Da muss ich sofort unterbrechen. Wer vorschnell schlussfolgert, könnte durchaus zu diesem Ergebnis kommen. Wer sich aber die Mühe macht, etwas langsamer, aber vor allen Dingen sorgfältiger zu prüfen, kommt zu einem anderen Ergebnis. Wenn ein Spieler eine Beratungsstelle aufsucht, ist er sich vorher darüber klar geworden, dass sein Spielverhalten nicht normal ist, dass es sich nicht um eine Willens- oder Charakterschwäche, sondern um eine erstzunehmende Krankheit handelt. Er muss  wissen, dass es dafür ein spezielles Beratungs- und Therapieangebot gibt und er muss wissen, wo es das gibt. Und schließlich muss er noch bereit sein, sich dort als Spieler mit Problemen zu outen.  Wachsen Wissen und Bewusstsein in Bezug auf die Krankheit in der Bevölkerung, dann steigt auch die Nachfrage nach Beratung und Therapie ganz unabhängig davon, ob die Zahl der problematischen Spieler wächst. Um Ihre Frage zu beantworten, muss man sogenannte epidemiologische Studien zu Rate ziehen. Davon gibt es inzwischen eine ganze Menge, die vor allen Dingen von öffentlichen Auftraggebern finanziert wurden.  Über die Jahre hin schwankt die Quote der krankhaften Spieler in der erwachsenen Bevölkerung zwischen 0,19% und 0,56%. Die Schwankungen sind methodisch bedingt. Ein Wachstum lässt sich nicht feststellen.  Zwischen 30 und 50% von ihnen spielen unter anderem auch an Automaten. Die Steigerung der Beratungsnachfrage ist somit nicht auf ein Wachsen des Pathologieproblems, sondern auf  die Aufklärungsarbeit zurückzuführen.  Oder einfacher ausgedrückt: Die Beratungsstellen haben ihr Angebot besser vermarktet. Leider noch nicht gut genug. Denn nach einer Spiegel-Meldung aus den letzten Wochen haben sich im letzten Jahr gerade mal 19.500 Menschen wegen ihres Spielverhaltens an Suchtberatungsstellen gewandt. Und ganz nebenbei bemerkt, trägt allen voran auch die Automatenwirtschaft zu einer Steigerung der Beratungsnachfrage bei. An allen Geldspielgeräten finden Sie die Hotline bei der BzgA, über die man Adressen von Hilfseinrichtungen erfragen kann. In allen Spielhallen gibt es Info-Blätter, in denen auf niedrigschwellige Beratungsangebote in näherer Umgebung hingewiesen wird. Schließlich gibt es mehr als 7000 von unabhängigen Experten geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Spielhallen, deren Aufgabe es ist, auffällige Spieler anzusprechen und möglichst einer professionellen Hilfe zuzuführen. Die Automatenwirtschaft sieht die Steigerung der Beratungsnachfrage zu Recht auch als Erfolg dieser Aufklärungsarbeit.

AJS: Uns interessiert natürlich besonders, wie hoch der Anteil der Jugendlichen unter den pathologischen Glücksspielern ist.

Stoffers: Sicher gibt es auch Jugendliche, die pathologische Spieler bzw. auf dem Wege dorthin sind. Pathologisches Spielen ist für mich ein fehlgeschlagener Versuch, persönliche Probleme zu bewältigen. Es ist wohltuend, in einer bedrückenden Situation in die von Hoffnung und Spannung getragene Traumwelt des Spiels einzutauchen. Um im Bild zu bleiben. Wer es aber nicht schafft, daraus wieder aufzutauchen, der  kann, wenn ihn niemand herauszieht, absaufen.  In der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen bieten sich viele Traumwelten an, in die man eintauchen kann. Das gute alte Buch, dass man Dank Kindle & Co jetzt auch nachts ohne Taschenlampe unter der Bettdecke lesen kann, das allgegenwärtige Fernsehen, das Internet mit seinen Social Media und Social Games und natürlich auch mit den mehr als 2.000 Internetcasinos. Geldspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten sind im Gegensatz dazu viel zu sehr sozial kontrolliert, was sie als  Fluchtburgen  aus der Sicht der problembelasteter Jugendlichen eher ungeeignet erscheinen lässt.  Die Bundezentrale für gesundheitliche Aufklärung hat in einer Untersuchung in der Gruppe der 16- und 17jährigen 0,32% pathologische Spieler gefunden. Und wiederum nur ein Bruchteil davon spielt auch an Geldspielgeräten.

AJS: Verstehen wir Sie richtig? Sie stellen dem Glücksspiel hier eine Unbedenklichkeitsbescheinigung in Sachen Jugendschutz aus?

Stoffers: Hier antworte ich mit einem ganz entschiedenen „Jein“.  Alle legalen terrestrischen Glücks- und Gewinnspielangebote sind unter dem Gesichtspunkt des Jugendschutzes unbedenklich. Wir haben bußgeldbewehrte Verbotsregelungen, an die sich die Veranstalter, seien es die staatlichen Spielbanken, die Spielhallen, die Gastwirte und die Lottoannahmestellen mit wenigen Ausnahmen halten.  Überall, wo das Spielen in realen sozialen Räumen stattfindet, kann es unmittelbar und wirkungsvoll durch Menschen kontrolliert werden. Sorgen müssen uns die unregulierten Spielangebote machen, die meist aus dem Ausland via Internet an Erwachsene, aber auch an Jugendlichen gelangen. Da gibt es dieselben Spielinhalte wie bei den Automaten in Spielhallen, leider kaum kontrolliert und in Bezug auf die Gewinn- und Verlustmöglichkeiten im Gegensatz zu den Geräten in Gaststätten und Spielhallen völlig unbegrenzt. Und genau hier ist der Jugendschutz im Sinne von Prävention gefordert.

AJS: Wundert es Sie nicht, dass in der Öffentlichkeit auf  die Spielautomaten und Gaststätten und Spielhallen eingeprügelt wird die staatlichen Glücksspiele wie auch die Internetangebote ungeschoren davon kommen?

Stoffers: Wissen Sie, warum es früher an den Königshöfen  Prügelknaben gab? Strafe musste sein. Wenn schon die Königskinder nicht selber zur Rechenschaft gezogen werden konnten, dann mussten eben die rangniedrigen Prügelknaben dafür herhalten. Sehen Sie, und genau das sind wir heute. Sollen die Landesmütter und –väter auf ihre eigenen Glücksspiele einprügeln, die es ihnen ermöglichen, wohl- und mildtätig Geld zu verteilen? Das terrestrische Automatenspiel ist im Gegensatz zu den Glücksspielen im Internet sichtbar, ebenso sichtbar und damit politisch  eindrucksvoll kann man darauf einprügeln. Die Landesspielhallengesetze werden – wenn sie nicht durch politische Vernunft oder Gerichte ausgebremst werden – sogar dazu führen, dass bis zu achtzig Prozent dieser Branche verschwinden. Damit verschwindet die Lust am Spiel zwar nicht, wohl aber die sozial kontrollierten Räume, in denen man diesem Grundbedürfnis nachgeht. Ist das nicht demutsdämlichdumm?! Und dies sage ich Ihnen als unverbesserlicher Jugendschützer.

AJS: Missbrauchen Sie hier nicht den Jugendschutz, um die wirtschaftlichen Interessen der Automatenbranche zu vertreten.

Stoffers: Gut, den Ball nehme ich auf.  Als Jugendschützer verdienen Sie Geld und Ansehen, wenn Sie Ihr Unternehmensziel, nämlich die Optimierung des Kinder und Jugendschutzes verwirklichen. Suchtberatung , -therapie und -forschung  verdienen Geld und Ansehen, wenn es ihnen gelingt, kranken Menschen zu helfen, sie möglichst zu heilen oder der Erkrankung vorzubeugen Wir verdienen unser Geld mit einer Spieldienstleistung, die Schnittmengen mit den Geschäftsfeldern des Jugendschutzes und der Suchthilfe hat. Wenn wir nicht wollen, dass man uns abschafft, dann  tun wir gut daran, den Jugendschutz und die Suchthilfe bei der Erreichung ihrer Ziele zu unterstützen. Und im Gegenzug tun Sie und die Suchthilfe gut daran, uns nicht zu strangulieren, denn dann würden Sie geschützte Spielräume unwiederbringlich  abschaffen und die Erreichung Ihrer Ziele würde in der  unfassbaren virtuellen Spielwelt verdampfen.

AJS: Bei staatlichen Glücksspielanbietern kann man sich das leichter vorstellen als bei Unternehmen wie denen der Automatenbranche, die Profite erzielen wollen und müssen.

Stoffers:  Kein staatlicher Glücksspielanbieter würde unter diesem Aspekt den Scheinheiligkeitstest überstehen. Natürlich geht es auch dort um Geld und Profit. Keine private Suchtklinik würde diesen Test überstehen. Denn Suchttherapie ist gut und zugleich auch ein gutes Geschäft. Lassen Sie uns doch bitte ehrlich sein. Selbstlose Nächstenliebe ist ein frommer Hoffnungswert, weit ab von der Realität. Bei den Fragen, die wir zu lösen haben, geht es nicht darum, wer in diesem Markt Geld verdient.  Denn dem kranken Spieler ist es schnurzepiepegal, ob er mit dem Geld, das er eigentlich nicht ausgeben will,  über den staatlichen Spielanbieter den Breitensport in Hintertupfingen mitfinanziert oder ob sein Geld in die Kasse eines Automatenunternehmers fließt. Er will sein Geld nicht für das Spielen ausgeben. Er kann aber nicht anders. Wir wollen uns nicht an seiner Krankheit bereichern. Und ich unterstelle mal, dass die anderen legalen Glücksspielanbieter dies auch nicht wollen. Daraus ergibt sich zwangsläufig unser  Ziel, diese Menschen wieder in der Stand zu setzen, frei, selbstbewusst und selbstverantwortlich zu entscheiden – sei es für oder gegen das Spiel. Und unser gemeinsames Ziel ist es auch, Kindern und Jugendlichen die Verhaltenskompetenzen zu vermitteln, die einer Entwicklung krankhaften Spielverhaltens vorbeugen. Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir die Hilfe des professionellen Jugendschutzes, der Suchthilfe und -therapie wie auch der Forschung. Die Automatenwirtschaft bietet sozial kontrollierte Spielräume, die frühzeitige Intervention ermöglichen und Hilfe vorbereiten. Und frühe Hilfe ist allemal vonnöten.

AJS: Als alter Hase im Jugendschutz eine abschließende Frage: Welche Ziele, welche Aufgaben soll der Jugendschutz in Zukunft verfolgen.

Stoffers:  Als alter Hase, der viele Haken geschlagen hat, teile inzwischen mehr als je zuvor die Meinung eines anderen Alten, nämlich die vom Alten Fritz: „Jeder soll nach seiner Facon selig werden“.  Übersetzt für den Kinder- und Jugendschutz bedeutet dies: „Bringt Kindern und Jugendlichen bei, dass jeder nach seiner Facon selig werden soll, damit sie als mündige Erwachsene das Glück haben, ihr Leben nach diesem Prinzip zu genießen.“

Interview:
Jan Lieven und Susanne Philipp, AJS